Vogel-Hoffmann Zum 100. Geburtstag
Unsere kleine Stadt schmiegt sich in das Tal eines schmalen Baches. Zwei Höhenrücken begleiten dieses Tal und machen es zu einer langgestreckten Mulde, in welcher der Bach noch unbegradigt in vielen natürlichen Windungen dahinfließt. Westwärts tragen die Höhen ein großes weißes Haus, die Finkenburg. Wie ein Wächter schaut sie auf die Stadt herab. Die Morgensonne strahlt sie an, und es gibt Tage im Jahr, da sinkt der rote Ball der Sonne hinter ihr in den Abend. Ostwärts sind die Höhen grün von einem großen Wald. Er tritt sogar bis an die Stadt heran, legt sich nordwärts vor ihren Eingang und leiht ihr ein lebendes Tor aus uralten Buchen. Wer zu uns kommt, erlebt hier das Original eines alten Stiches: Himmelhohe Bäume, silbergraue, mächtige Stämme, trutzige Äste, Laub in allen Abstufungen des Lichtes, Wege wie Domgewölbe.
Nach der Flucht aus Westpreußen hat sich Georg Hoffmann mit soviel Einfühlungsvermögen in seine neue Heimat Syke hineingefunden, dass nur wenige Einheimische ihm darin gleichkommen. Das Eingangszitat entstammt einem bis heute unveröffentlichten Manuskript. 1957 plante Hoffmann die Herausgabe seines vierten Buches unter dem Titel Im schönsten Wiesengrunde. Mit Naturschilderungen aus den Bruchlandschaften rund um die ehemalige Kreisstadt Syke.
Orientiert an der Idee, dass der Heimatgedanke in erster Linie durch die Liebe zur Natur gefördert und wachgehalten wird, präsentierte Hoffmann die Landschaften des Kreises in knapp tausend Diavorträgen. Das exzellente Wissen um die Natur und eine geschliffene, warme Sprache stellten immer den richtigen Kontakt mit den Zuhörern her; gleichsam vermittelten seine Vorträge die Illusion einer gemeinsamen Wanderung, sei es durch die Weiten der Diepholzer Moorniederung, durch die Ahlhuser Ahe oder über die hohe Geestschwelle hinein in das Wesertal.
Eine große Anzahl von Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften und exakt 250 Schulfunksendungen bei Radio Bremen komplettieren das Schaffen eines Naturforschers, über den der Schriftsteller Max Habel (1865-1944) sagte: Hoffmann ist einer der wenigen Menschen, die Gott begnadet hat zu schauen, zu wissen und zu verstehen, was Landschaft, Pflanzen und Kreatur künden.
Es ist die Vielfältigkeit der Natur Ostpreußens, mit ihrer atemberaubenden Tier- und Pflanzenwelt, durch die Hoffmann bereits in jungen Jahren beeinflusst wird. Sein Geburtsort ist Deutsch Eylau, im Kreis Rosenberg (Westpreußen)* , sein Geburtstag der 29. Oktober 1900.
Hier, am Westufer des Geserichsees, einem Teil der Preußischen Seenplatte, durchstreift Hoffmann eine dünnbesiedelte Landschaft, die durch Großgrundbesitz geprägt und daher in weiten Teilen menschenleer ist. Fasziniert berichtet er über den reichen Wildbestand, über die Beobachtung von Habichtskauz, Kranich und Schwarzstorch, weiß um das Brutvorkommen von vier Adlerarten und die Standorte seltener Pflanzen.
Der Beruf des Lehrers führt ihn an das Kurische Haff, bei Königsberg; später in den Kreis Rastenburg. Hier lebt er in der Nachbarschaft des Naturforschers und Schriftstellers Walter von Sanden (geb. 1888 in Marienwalde, gest. 1972 in Hüde, Dümmer) mit dem ihn zeitlebens eine enge Freundschaft verbindet. Beide ahnen damals noch nicht, dass das Schicksal sie in den Landkreis Diepholz verschlagen wird.
Hoffmann notiert in einer seiner zahlreichen Aufzeichnungen, dass es Walter von Sanden war, der ihn zu eigenen Arbeiten angeregt hat. Es entstehen viele ornithologische Fachbeiträge (z. B. über die Brutbiologie des Schelladlers), ungezählte Fotografien und die Bücher Rund um den Kranich und Ein See im Walde.
Er wird 1942 in den Forschungskreis der Universität Königsberg berufen und noch im gleichen Jahr in die Nikolaus-Kopernikus-Gesellschaft, Danzig und in den Marienburger Dichterkreis.
Im Januar 1945 zwingen die Kriegswirren Hoffmann und seine Familie zur Flucht. Georg Hoffmann notiert: ... Vertreibung aus der Heimat, alles Gerät verloren, Lebensarbeit vernichtet, Tausende von seltensten Naturaufnahmen verloren, russische Gefangenschaft, dort auch beobachtet (62 Arten vom Lager aus, Kolkraben direkt vor der Baracke), Rückkehr durch Ostpreußen, Familie im Kreise Grafschaft Hoya wiedergefunden (1947), hier gleich Fuß gefasst als Lehrer (an der Volksschule Syke) und mit Neuarbeit begonnen ...
Schnell knüpft Hoffmann Kontakt zu Gleichgesinnten. Dennoch gestaltet sich die erwähnte Neuarbeit als extrem schwierig. Als er nach Syke kommt, besitzt er praktisch nichts. Ohne Fernglas und zu Fuß, gar ohne naturkundliche Bestimmungsbücher erkundet Hoffmann Pfingsten 1947 erstmals die nähere Umgebung und legt bei einer Exkursion 80 km zurück. Ein Jahr später mittlerweile im Besitz eines Fahrrades und einer Fotoausrüstung, beides vom Munde abgespart dehnt er seine Exkursionen aus:
... heute Schleiereule in Achim, Lachmöwen zwischen Harpstedt und Wildeshausen, dann weißer Storch bei Hoya. Kreuz und quer durch den Kreis. Reiher bei Asendorf usw. Fahrt entlang der Storchennester am Marschrand, an einem Tag 92 km ... Ansitzbude so klein wie möglich, geradezu zusammengekauert, viele Stunden in dieser Stellung ohne sich zu rühren, bald Mühsal eines Fakirs. Und das, wo alle Welt den Sonntag genießt, sich ausruht und spazieren geht."
Neben seinem Beruf als Lehrer und seiner naturkundlichen Arbeit war Hoffmann ein leidenschaftlicher Musiker. Zeitgenossen erinnern sich gern an sein Klavier- oder Violinenspiel anlässlich weihnachtlicher Konzerte.
Ich kenne keinen Sonntag und keinen Feiertag, sagte Georg Hoffmann. Und man glaubt im gern. Georg Hoffmann starb am 02. Februar 1963 in Syke.
Remco Nöhren
*) Ab 1920 nach Abstimmung zu Ostpreußen |